grau

für Solisten, Chor und Orchester (2001), 11 Min.
Text: Sarah Udi (1914–2007)

Auftragswerk der Gedenkstätte Buchenwald

UA: 20.10.2001 | Musikgymnasium Schloß Belvedere Weimar
Chor und Orchester des Musikgymnasiums Belvedere Weimar, Zsolt-Tihamér Visontay (Leitung)

CD: Musikgymnasium Schloss Belvedere, Oktober 2001.

Sarah Udi (1914–2007): Grau

Grauer Dämmer,
grauer Staub,
hier haust
das Elend.

Grauer Himmel im Fenster,
grauer Rauch über’m Feuer,
graues Essen im Napf,
und im Grau der Dämmerung
schwindet mein alt-buntes Leben.

Zwei graue Säulen die Beine,
am Leib ein graues Hemd,
grau die schwingenden Hüften
und die Warzen der Brust,
grauer Star trübt die Augen,
den Blick ins Grau der Welt.

Graue Worte formt der Mund.
grau tönen die Lieder,
in grauen Adern fließt das Blut,
und der Seele Regenbogen
grämt sich grau in grau.

Graues Rot färbt mein Gesicht,
graue Tränen weine ich,
grau das Joch auf meiner Schulter,
grau mein Lebensweg
in grauer Dämmerung.

Grau die Waffe, die ich bau,
grau die Seele fluchbehaftet,
graue Erde, grauer Himmel,
hoffnungsloses Grau.

Graue Stunden,
graue Tage,
und ich – eine graue Leiche.

(Sömmerda, erste Januarwoche 1945)

Sarah Udi ist am 22. Mai 1914 als Erzsebeth Schwarcz in Munkács, einer 30.000 Einwohner zählenden Stadt in den damals ungarischen Karpaten, als Kind assimilierter Juden geboren. Nach dem Abitur studiert sie an der Prager Universität Pädagogik und arbeitet ab 1934 als Lehrerin. 1936 heiratet sie einen aktiven Zionisten. Anfang 1944 muss sie ins Ghetto, wenig später wird sie mit den Eltern nach Auschwitz abtransportiert. Beide Elternteile kommen dort um. Sie selbst wird am 1. Juli 1944 nach Gelsenkirchen verfrachtet und zu Aufräumungsarbeiten in der Stadt eingesetzt. Am 19. September wird das Kommando aufgelöst und die Häftlinge nach Sömmerda überstellt. Dort muss Sarah Udi bis zum 8. April 1945 in der Munitionsfabrik Zwangsarbeit leisten. Während des Evakuierungsmarsches gelingt ihr mit „Lagerschwestern“ in der Nähe der Stadt Glauchau die Flucht. Nach drei harten Flüchtlingsjahren erreicht sie schließlich 1948 ihr Land Palästina. Sie nimmt ihre Arbeit als Lehrerin wieder auf und erwirbt 1973 das Diplom „Master of Arts“ der Bar-Ilan-Universität Ramat-Gan. Sarah Udi ist am 3. September 2007 in Israel gestorben.

Kurz zuvor, im Juli 2007, sind ihre Gedichte in dem Band „Der Krieg krepiert“ in deutscher Sprache erschienen. Entstanden sind sie überwiegend zwischen Dezember 1944 und März 1945 im Außenlager des KZ Buchenwald – in den Baracken des Rüstungsherstellers Rheinmetall-Borsig in Sömmerda. Festgehalten wurden sie von der Autorin heimlich in einem kleinen Band, der von ihr mit graublauer Munitionskennfarbe den Titel „Szürke“ („Grau“) erhielt. Die Sömmerda-Gedichte sind 1989 – angereichert mit weiteren lyrischen Fußspuren des ehemaligen Häftlings – in Tel Aviv/Israel unter der Originalbezeichnung in gleichzeitig ungarischer und hebräischer Sprache erschienen.

Die Vertonung des Gedichts „Grau“ entstand 2001 für die Ausstellung der Gedenkstätte Buchenwald „Vergessene Frauen von Buchenwald – Die Ausbeutung weiblicher Häftlinge in der Rüstungsindustrie“.