© Heiner Goebbels

PLAN P: eine Archäologie des Schweigens

für Gitarre, Ensemble und Zuspiel (2011–13), 19 Min.
Text: Kathrin Franke

Das Stück PLAN P: eine Archäologie des Schweigens nimmt Grabungen vor, die nicht in die Tiefenschichten der pathologisierten und medikalisierten Patienten vordringen, sondern einen mikroskopischen Blick auf die Sprach(e)losigkeit des Klinikpersonals richten. Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen mit Ärzten, Pflegern und Krankenschwestern verschiedener Psychiatrien sowie von einer Führung durch eine Kunstinstallation in einem Psychiatriemuseum eröffneten Landkarten des Sprechens und Schweigens, auf deren Grundlage ein Textgewebe entwickelt wurde, das verdichtete Zonen beredten Erzählens mit ins Stocken geratenen und abrupt abbrechenden Erinnerungsströmen konfrontiert. Die Musik versucht hörbar zu machen, was an der Oberfläche der Texte nicht wahrnehmbar ist. Was/Wer ist „normal“, was/wer ist „krank“? Ist es die Gitarre, auf der es durch Umstimmung und Präparation kein normiertes Tonsystem mehr gibt oder alle anderen Musiker*innen, die den Gitarristen im Raum umgeben und in gleichstufiger, normierter Stimmung spielen? Wer entscheidet darüber? Und: Wie kann man sich innerhalb von Kunst überhaupt solch einem Thema nähern?

UA: 05.+06.02.2011 | Frankfurt LAB | Frankfurter Positionen 2011
Jürgen Ruck (Gitarre) | Norbert Ommer (Klangregie) | Ensemble Modern | Kasper de Roo (Leitung)

UA der revidierten Fassung: 21.02.2013 | Landesvertretung NRW, Berlin
Jürgen Ruck (Gitarre) | Ensemble musikFabrik | Manuel Nawri (Leitung)

Pressestimmen

„[…] während Klichs Stück (mit Texten von Kathrin Franke) mit zwei Ensembles an einer langen Tafel und einem dazwischen positionierten Solisten aus Alltags-Gesten eine hoch gespannte szenische Situation gewinnt. Das liegt vor allem an der klanglichen Gestaltung der präparierten Konzertgitarre (Jürgen Ruck), die zuweilen wie spröde Glasstäbe klingt und von einer raumgreifenden Klangregie als beherrschendes Ereignis inszeniert ist.“

Hans-Jürgen Linke | Frankfurter Rundschau

„Für Plan-P – Eine Archäologie des Schweigens von Tobias Klich wurden schwarze Tische im Zentrum der Halle zu einer langen Tafel zusammengestellt und mit weißem Tischtuch überzogen. Von einem klappernd hereingefahrenen Teewagen wurde Porzellan aufgetischt. Mitglieder des Ensemble Modern setzten sich mit ihren Instrumenten an den Tisch. Geiger Jagdish Mistry streute sich ordentlich Salz in die Kaffeetasse. Schließlich nahm Gitarrist Jürgen Ruck mitten auf der Kaffeetafel Platz: Sinnbild des Gitarrespielers als Verächter des Gutbürgerlichen. Ein etwa in der Mitte des Griffbretts plazierter Kapodaster teilte die Saiten in zwei unterschiedlich klingende Hälften und ermöglichte ein Spiel jenseits vertrauter Tonsysteme. Die in der Tafelrunde geflüsterten Texte stammten von Kathrin Franke und handelten von einer Medikamenten-Psychiatrie, die nur zum Schweigen bringt, statt Ursachen zu heilen – noch ein sozialutopisches Thema. Hier schien tatsächlich der Versuch geglückt, das Anliegen der Musik in der Szene aufzufächern.“

Elisabeth Risch | Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Die an Schab- und Kratzgeräuschen reiche Klanglichkeit klassischer Instrumente verbindet sich mit Flüstertexten von den Rändern der Gesellschaft.“

Frankfurter Neue Presse

„Der Wahnsinn zieht von jeher durch die Kunst. In der Romantik hinterlässt er besonders breite Spuren – in den Biographien von Hölderlin und Nietzsche, van Gogh, Schumann und Wolf und vielen anderen. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts aber wird Wahnsinn von Kunst auch produktiv genutzt. Wahnsinn ist jetzt ein Fundus für Erkenntnis, die über den Tellerrand des Normativen hinauszublicken vermag. So gesehen ist es nicht weiter ungewöhnlich, wenn uns Tobias Klich in PLAN P: eine Archäologie des Schweigens in die Psychiatrie führt. Ungewöhnlich ist, dass er dort ausgerechnet die Gesunden sucht, die Therapeuten, Ärzte und Pfleger. Bei ihnen findet er eine Sprache, die sich kaum noch artikulieren kann, er findet Stockungen, halbe Sätze, verschluckte Worte und Schweigen. Die Gesunden sind nicht stark, sie sind hilflos und fassungslos, flüchten sich in Floskeln, weichen aus und leugnen. Klichs szenische Kammermusik versetzt uns an einen Ort, in dem das Begreifen nur noch eine Ansammlung von Bruchstücken ist. Verzerrte Tonaufnahmen von Interviews und dokumentarische Texte dringen von allen Seiten auf uns ein, kaum bewegte Klänge vermischen sich mit kaum verständlicher Sprache, die solistische Gitarre ist zerteilt in heterogene Bereiche. Sie, die Einheit und Halt bieten könnte, ist selbst zerrissen und bar einer verlässlichen Identität.“

Raoul Mörchen