szenische Komposition (2016–20) im Dialog mit Platons Symposion für Gitarre, Violoncello, Akkordeon zu jeweils vier Händen und eine erweiterte Stimme, 75 Min. von CHEN Chengwen + Tobias Klich
Musik für Gitarre zu vier Händen (2016), 13 Min.
Musik für Violoncello zu vier Händen (2017–19), 20 Min.
Musik für Akkordeon zu vier Händen (und eine weitere Stimme) (2019–20), 18 Min.
Musik für Stimme (2020), 4 Min.
Seit 2018 gibt es in Deutschland eine gesetzliche Anerkennung von nicht-binären Geschlechtsidentitäten. Die Vorstellung von mehreren Geschlechtern hat dagegen bereits eine lange Tradition. In Platons Symposion, seinen philosophischen Betrachtungen über die Liebe, wird in der »Rede des Aristophanes« die ursprüngliche Gestalt der Menschen beschrieben: Als vierarmige Kugelwesen, die ehemals in drei Geschlechtern existierten, wurden sie schließlich von den Göttern getrennt und begehren seitdem die Wiedervereinigung mit ihrer anderen Hälfte, verschiedene sexuelle Identitäten und Orientierungen existieren dabei gleichberechtigt nebeneinander.
In der szenischen Komposition 4 Hände von CHEN Chengwen + Tobias Klich werden jeweils zwei Musiker*innen an nur einem Instrument gezeigt, die zu einem einzigen, vierhändig agierenden Wesen verschmelzen. Die drei Werke für Gitarre, Violoncello und Akkordeon werden dabei in einen Dialog gesetzt mit Auszügen aus Platons Symposion.
Was bedeutet es, auf solch einem engen Raum zu kooperieren? Welche Impulse könnte dieses Modell für gesellschaftliche, symbiotische Kooperationsformen liefern? Oder für neue Liebesformen?
Filmische Interpretation: James Chan-A-Sue + Tobias Klich Audioaufnahme und Schnitt: Stephan Schmidt Koproduktion von Deutscher Musikrat gGmbH und Deutschlandfunk
Weiterführende Informationen:
Platon: Symposion– aus der Rede des Aristophanes
Zuvörderst nun muß ich euch über die menschliche Natur und die Schicksale unterrichten, die sie erlitt. Unsere ehemalige Naturbeschaffenheit nämlich war nicht dieselbe wie jetzt, sondern von ganz anderer Art. Denn zunächst gab es damals drei Geschlechter unter den Menschen, während jetzt nur zwei, das männliche und das weibliche; damals kam nämlich als ein drittes noch ein aus diesen beiden zusammengesetztes hinzu. Androgyn nämlich war damals das eine, sowohl der Gestalt als auch dem Namen nach zusammengesetzt aus den beiden, dem männlichen und dem weiblichen.
Ferner war damals die ganze Gestalt jedes Menschen rund, indem Rücken und Seiten im Kreise herumliefen, und ein jeder hatte vier Hände und ebenso viele Füße und zwei einander durchaus ähnliche Gesichter auf einem rings herumgehenden Nacken, zu den beiden nach der entgegengesetzten Seite voneinander stehenden Gesichtern aber einen gemeinschaftlichen Kopf, ferner vier Ohren und zwei Schamteile, und so alles übrige, wie man es sich hiernach wohl vorstellen kann.
Sie waren daher auch von gewaltiger Kraft und Stärke und gingen mit hohen Gedanken um, so daß sie sich einen Zugang zum Himmel bahnen wollten, um die Götter anzugreifen.
Zeus nun und die übrigen Götter hielten Rat, was sie mit ihnen anfangen sollten. Endlich nach langer Überlegung sprach Zeus: »Ich glaube ein Mittel gefunden zu haben, wie die Menschen erhalten bleiben können und doch ihrem Übermut Einhalt geschieht, indem sie schwächer geworden. Ich will nämlich jetzt jeden von ihnen in zwei Hälften zerschneiden, und so werden sie zugleich schwächer und uns nützlicher werden, weil dadurch ihre Zahl vergrößert wird, und sie sollen nunmehr aufrecht auf zwei Beinen gehen. Wenn sie uns aber dann auch noch fernerhin fortzufreveln scheinen und keine Ruhe halten wollen, dann werde ich sie von neuem in zwei Hälften zerschneiden, so daß sie auf einem Beine hüpfen müssen wie die Schlauchtänzer.«
Nachdem er das gesagt, schnitt er die Menschen entzwei, wie wenn man Beeren zerschneidet, um sie einzumachen, oder Eier mit Pferdehaaren. Wen er aber jedesmal zerschnitten hatte, dem ließ er durch Apollon das Gesicht und die Hälfte des Nackens umkehren nach der Seite des Schnittes zu, damit der Mensch durch den Anblick seiner Zerschnittenheit gesitteter würde.
Als nun so ihr Körper in zwei Teile zerschnitten war, da trat jede Hälfte mit sehnsüchtigem Verlangen an ihre andere Hälfte heran, und sie schlangen die Arme umeinander und hielten sich umfaßt, voller Begierde, wieder zusammenzuwachsen. Seit so langer Zeit ist demnach die Liebe zueinander den Menschen eingeboren und sucht die alte Natur zurückzuführen und aus zweien eins zu machen.
So viele nun unter den Männern ein Schnittstück von jener gemischten Gattung sind, welche damals androgyn hieß, die richten ihre Liebe auf die Weiber. So viele aber von den Weibern ein Schnittstück von einem Weibe sind, die richten ihren Sinn nur wenig auf die Männer, sondern wenden sich weit mehr den Frauen zu. Die Männer endlich, welche ein Stück von einem Mann sind, die gehen dem Männlichen nach, und lieben, als Schnittlinge der männlichen Gattung, die Männer und haben ihre Freude daran, neben den Männern zu ruhen und von Männern umschlungen zu werden.
Wenn nun dabei einmal der liebende Teil, auf seine wirkliche andere Hälfte trifft, dann werden sie von wunderbarer Freundschaft, Vertraulichkeit und Liebe ergriffen und wollen, um es kurz zu sagen, auch keinen Augenblick voneinander lassen. Und diese, welche ihr ganzes Leben miteinander zubringen, sind es, welche doch auch nicht einmal zu sagen wüßten, was sie voneinander wollen. Denn dies kann doch wohl nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses sein, um dessen willen der eine mit dem andern so eifrig zusammenzusein wünscht: sondern nach etwas anderem trachtet offenbar die Seele von beiden, was sie nicht zu sagen vermag, sondern nur ahnend zu empfinden und in Rätseln anzudeuten.
Und – wenn zu ihnen, – während sie dasselbe Lager teilten, Hephaistos mit seinen Werkzeugen hinanträte und sie fragte: »Was wollt ihr Leute denn eigentlich voneinander?« und, wenn sie es ihm dann nicht zu sagen vermöchten, sie von neuem fragte: »Ist es das etwa, was ihr wünscht, möglichst an demselben Orte miteinander zu sein und euch Tag und Nacht nicht voneinander zu trennen? Denn wenn es euch hiernach verlangt, so will ich euch in eins verschmelzen und zusammenschweißen, so daß ihr aus zweien einer werdet und euer ganzes Leben als wie ein Einziger gemeinsam verlebt, und, wenn ihr sterbt, auch euer Tod ein gemeinschaftlicher sei, und ihr dann wiederum auch dort im Hades einer statt zweier seid. Darum seht zu, ob dies euer Begehr ist, und ob dies euch befriedigen würde, wenn ihr es erlangtet«.
Wenn sie, sage ich, dies hörten, dann würde gewißlich kein Einziger es ablehnen oder zu erkennen geben, es sei etwas anderes, was er wünschte; sondern jeder würde gerade das gehört zu haben glauben, wonach er schon lange Begehr trug: vereinigt und verschmolzen mit seinem Geliebten aus zweien eins zu werden.
Der Grund hiervon nämlich liegt darin, daß dies unsere ursprüngliche Naturbeschaffenheit ist, und daß wir einst ungeteilte Ganze waren. Und so führt die Begierde und das Streben nach dem Ganzen den Namen Liebe.
Auszüge aus: Platon: Symposion (Das Gastmahl), Rede des Aristophanes, in: Sämtliche Werke. Band 1, Berlin [1940], S. 657-728. Entstanden etwa um 380 v. Chr., Übersetzung: Franz Susemihl, 1855.
Konzertmitschnitt: Musik für Violoncello zu vier Händen Séverine Ballon, Åsa Åkerberg (Violoncello) 19.03.2021 | Aliasteatern Stockholm | online | Svensk Musik vår (Sweden Music Spring)
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